Jagen Sie Nominalstil und Beamtendeutsch

In Kundenprojekten und in den Seminaren ist der Nominalstil ein Klassiker. Mit diesem Schreibstil werden Verben (also die «Tun»-Wörter) zu Substantiven (auch Nomen oder Hauptwort genannt).

 

Die Sätze werden dadurch zwar kürzer, gleichzeitig aber auch abstrakt und steif. Das Resultat sind Sätze in schönstem Beamtendeutsch. Etwas, was wir in Werbe- und Verkaufstexten unbedingt vermeiden wollen!

 

Ein Beispiel:
Aus „Er hat den Führerschein gemacht“ wird im Nominalstil „die Erreichung der Fahrfähigkeit“. Der Satz wird unpersönlich, denn die persönliche Anrede fällt weg. Das Resultat ist künstlich und gestelzt.

 

So würde Rotkäppchen im Nominalstil tönen!

 

Stellen Sie sich vor, die Gebrüder Grimm hätten ihr Märchen Rotkäppchen im Nominalstil geschrieben. Das würde dann so tönen:

Im Kinderfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens ihrer Mutter ein Schreiben zustellig gemacht, in welchem dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungsmittel und Genussmittel zu Genesungszwecken zuzustellen. Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter über das Verbot betreffs Verlassens der Waldwege auf Kreisebene belehrt …

Auszug aus Rotkäppchen in Amtsdeutsch von Thaddäus Troll

Quelle: http://www.zeit.de/1984/52/rotkaeppchen-auf-amtsdeutsch  

Fürchterlich, nicht wahr? Nicht nur Kinder würden bei solch einer Gutenacht-Geschichte wohl nach wenigen Sätzen wegnicken.
Den kompletten Text zum Schmunzeln finden Sie am Schluss dieses Blogs!

Es geht sogar noch schlimmer!

 

Sie glauben, den Nominalstil kann man nicht verschlimmern? Doch, kann man. Nämlich mit dem sogenannten «Funktionsverbgefüge». Der komplizierte Name ist hier Programm. Funktionsverbgefüge sind schwerfällige Konstruktionen aus Verb und Substantiv, die stark nach Beamten-Deutsch klingen. Schwache Verben wie „bringen“, „kommen“, „bilden“ oder „durchführen“ werden mit abstrakten Substantiven kombiniert.   
Daraus entstehen sprachliche Gebilde wie „eine Veränderung vornehmen“, „zum Ausdruck bringen“, „in Verbindung bringen“ oder „zur Verfügung stehen“. Besonders die letzte Formulierung finden wir sehr häufig in Geschäftskorrespondenz. Formulierungen dieser Art nehmen aber jeglichen Schwung aus Texten und lassen ihn langsam und aufgebläht erscheinen. Sie sind also wirksame Erfolgskiller für Ihre Korrespondenz oder Websiteinhalte.

 

Unsere Empfehlung: Ersetzen Sie solche «Funktionsverbgefüge» einfach durch ein Verb.
In unseren Beispielen also „verändern“ (statt „eine Veränderung vornehmen“) , „ausdrücken“ oder „verbinden“. Damit klingt Ihr Angebot wesentlich lebendiger und ansprechender.

 

Weitere Beispiele und Verbesserungsvorschläge:

Wenn unser Produkt zur Anwendung kommt, …
Besser: Nutzen Sie unser Produkt, dann …
 
Alle, bei denen diese Technik zum Einsatz kommt …
Besser: Wenn Sie diese Technik nutzen, sind Sie sicher: …
 
Weiteren Wendungen und dazu die Verben zur Verbesserung:
Beachtung schenken → beachten
Rache nehmen → rächen
zur Sprache bringen → ansprechen
Hilfe leisten → helfen
in Ordnung bringen → ordnen
in Anspruch nehmen → beanspruchen
in Begeisterung versetzen → begeistern
 
Die Beamtensprache treibts auf die Spitze
Die schönste Sprach-Akrobatik in Sachen „Verkomplizierung von Verben“ findet sich in der Beamtensprache. So schreibt ein Amt statt „Das Kind wurde von einer Pflegefamilie aufgenommen“ ganz korrekt: „Die Beelterung des Kindes wurde vollzogen“.
Auch Ausdrücke wie "das Reinigen" oder "das Kontrollieren" sind Bremsen für Sätze. Was tönt für Sie besser: «Das Reinigen der Anlage geschieht automatisch» oder «Ihr grosser Vorteil: Die Anlage reinigt sich völlig autonom!“ Beide Sätze sagen exakt das Gleiche. Trotzdem motiviert nur der Stil des zweiten Satzes zum Weiterlesen. Der erste Satz ist aber ein richtiger Lustkiller und sagt deutlich: «Schmeiss mich in den Papierkorb.»

 

Weitere Beispiele:
Das Kontrollieren der Maschine wird von uns übernommen.
Besser: Wir kontrollieren die Maschine für Sie.
 
Damit ist das Funktionieren immer gesichert.
Besser: Sie dürfen sicher sein: Das Gerät funktioniert!
 
Die Tageskarte besitzt in der Bergbahn keine Gültigkeit.
Besser: Die Tageskarte ist in der Bergbahn ungültig.

Fazit:
Machen Sie in Ihren Texten Jagd auf den Nominalstil und erlegen sie ihn ohne Wenn und Aber. Ersetzen Sie die komplizierten «Funktionsverbgefüge», diese fürchterlichen Verb-Substantiv-Gebilde, durch ein Verb.

Sie werden erstaunt sein, wie häufig Sie auf den Nominalstil treffen und wie hoch Ihre Erfolgsquote bei der Jagd sein wird!

Komplettes Rotkäppchen auf Amtsdeutsch von Thaddäus Troll

 

Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsmäßig Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens ihrer Mutter ein Schreiben zustellig gemacht, in welchem dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, worauf die Mutter der R. dieser die Auflage machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungs- und Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen.


Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter über das Verbot betreffs Verlassens der Waldwege auf Kreisebene belehrt. Dieselbe machte sich infolge Nichtbeachtung dieser Vorschrift straffällig und begegnete beim Übertreten des amtlichen Blumenpflückverbotes einem polizeilich nicht gemeldeten Wolf ohne festen Wohnsitz. Dieser verlangte in gesetzwidriger Amtsanmaßung Einsichtnahme in das zu Transportzwecken von Konsumgütern dienende Korbbehältnis und traf in Tötungsabsicht die Feststellung, daß die R. zu ihrer verschwägerten und verwandten, im Baumbestand angemieteten Großmutter eilend war.


Da seitens des Wolfes Verknappungen auf dem Ernährungssektor vorherrschend waren, faßte er den Entschluß, bei der Großmutter der R. unter Vorlage falscher Papiere vorsprachig zu werden. Weil dieselbe wegen Augenleidens krankgeschrieben war, gelang dem in Freßvorbereitung befindlichen Untier die diesfallsige Täuschungsabsicht, worauf es unter Verschlingung der Bettlägerigen einen strafbaren Mundraub zur Durchrührung brachte. Ferner täuschte das Tier bei der später eintreffenden R. seine Identität mit der Großmutter vor, stellte ersterer nach und in der Folge durch Zweitverschlingung der R. seinen Tötungsvorsatz erneut unter Beweis.


Der sich auf einem Dienstgang befindliche und im Forstwesen zuständige Waldbeamte B. vernahm Schnarchgeräusche und stellte deren Urheberschaft seitens des Tiermaules fest. Er reichte bei seiner vorgesetzten Dienststelle ein Tötungsgesuch ein, das dortseits zuschlägig beschieden und pro Schuß bezuschußt wurde. Nach Beschaffung einer Pulverschießvorrichtung zu Jagdzwecken gab er in wahrgenommener Einflußnahme auf das Raubwesen einen Schuß ab.


Dieses wurde in Fortführung der Raubtiervernichtungsaktion auf Kreisebene nach Empfangnahme des Geschosses ablebig. Die gespreizte Beinhaltung des Totgutes weckte in dem Schußgeber die Vermutung, daß der Leichnam Menschenmaterial beinhalte. Zwecks diesbezüglicher Feststellung öffnete er unter Zuhilfenahme eines Messers den Kadaver zur Totvermarktung und stieß hierbei auf die noch lebhafte R. nebst beigehefteter Großmutter. Durch die unverhoffte Wiederbelebung bemächtigte sich beider Personen ein gesteigertes, amtlich nicht zulässiges Lebensgefühl, dem sie durch groben Unfug, öffentliches Ärgernis erregenden Lärm und Nichtbeachtung anderer Polizeiverordnungen Ausdruck verliehen, was ihre Haftpflichtigmachung zur Folge hatte. Der Vorfall wurde von den kulturschaffenden Gebrüdern Grimm zu Protokoll genommen und starkbekinderten Familien in Märchenform zustellig gemacht.


Wenn die Beteiligten nicht durch Hinschied abgegangen und in Fortfall gekommen sind, sind dieselben derzeitig noch lebhaft.

 

Quelle: http://www.zeit.de/1984/52/rotkaeppchen-auf-amtsdeutsch  

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